Nachdenkliches und Heiteres im Bürgerhaus Glinde:
60 Zuhörer, 7 Schauspieler, 2 Vorleser – Das war die Mischung, die einen ebenso nachdenklichen wie heiteren Abend im Bürgerhaus Glinde ergab. Und wer gedacht hatte, Politisches käme möglicherweise zu kurz, wenn der Fraktionsvorsitzende der SPD-Landtagsfraktion und sein aus Stormarn kommender Stellvertreter Bücher vorstellen, hatte sich getäuscht. Es ging an diesem Abend um die Verträglichkeit von Familienleben und Politik ebenso wie um gesellschaftliche Herausforderungen und ein ebenso vorlautes wie kommunistisches Känguru. Die beiden Vorleser wurden gewissermaßen doppelt eingerahmt. Glindes SPD-Vorsitzender Okke Wissmann begrüßte und verabschiedete die Gäste des fünften Abends zu „Politik und Poesie“, das Theater ut de Möhl spielte Sketche.
Zur Vorstellung des Gastes hatte Habersaat ein Buch über Ralf Stegner mitgebracht. Darin schildern Persönlichkeiten aus Schleswig-Holstein ihre Eindrücke der 25 Jahre, die der gebürtige Rheinland-Pfälzer nun im Norden aktiv ist. Besonders bewegt, so Stegner, habe ihn der Beitrag seines ältesten Sohnes Fabian, der es wegen des prominenten Vaters in der Schule nicht immer leicht hatte. Von Heide Simonis gibt es Anerkennung („Er ist intellektuell schnell und scharf, redet aus dem Stehgreif beinahe druckfertig, er ist hoch belastbar und leistungsstark.“), Ministerpräsident Torsten Albig wendet sich an die vielen Kritiker: „Ralf Stegner hat immer wieder die Kraft gehabt, sich genauso zu verhalten, wie es seine zahlreichen Kritiker gerade nicht erwartet haben. Diesen würde man ein wenig dieser Kraft wünschen, zumindest einmal zu hinterfragen, ob ihre bis heute dennoch unveränderte Kritik an Ralf Stegner nicht doch auch einmal neu justiert werden müsste.“
Stegner selbst hatte unter anderen ein Buch von Peter Brandt mitgebracht und las passend zum Vorherigen eine Passage vor, in der dieser von seinen Schulerfahrungen als Sohn des Politikers Willy Brandt berichtet. Martin Habersaat machte die Glinder mit den Känguru-Chroniken von Marc-Uwe Kling bekannt. Darin geht es um ein Känguru, das die Führerschein-Prüfung nicht besteht, weil es den Grundsatz „Rechts vor Links“ nicht akzeptieren mag und die Ähnlichkeit von Schulden und Gott erörtert („Wenn man nicht an sie glaubt, muss man sie nicht fürchten.“) Auch das Theater ut de Möhl hatte Literarisches parat. So lernte man im Sketch „Schiller und Schaller“: „Tell war ein Freiheitskämpfer. Er hat auf Obst geschossen.“



Literatur in der Reihenfolge ihrer Vorstellung:
Heiner Volkers (Hg.): Spiegelbilder. Stegner in Schleswig-Holstein (2015)
1990 kam Ralf Stegner als Pressesprecher des Sozialministeriums nach Schleswig-Holstein, ist seit 25 hier politisch aktiv. 25 Persönlichkeiten berichten aus dieser Zeit und über ihre Begegnungen mit Ralf Stegner.
Jenny Erpenbeck : Gehen, ging, gegangen (2015)
Ein emeritierter Professor kommt durch die zufällige Begegnung mit Asylsuchenden auf dem Oranienplatz auf die Idee, die Antworten auf seine Fragen dort zu suchen, wo sonst niemand sie sucht: bei jenen jungen Flüchtlingen aus Afrika, die in Berlin gestrandet und seit Jahren zum Warten verurteilt sind.
Jochen Schimmang: Das Beste, was wir hatten (2009)
Eine Wende-Roman aus westdeutscher Sicht. Gregor Korff ist Mitarbeiter des Kanzleramts, liebt Bonn und verbindet mit dem Fall der Mauer vor allem die Sorge, Bonn verlassen zu müssen. Weniger Sympathie hegt er für die neoliberalen Ansichten seiner FDP-Kollegin Dietlind Mohr-Hagen…
Peter Brandt: Mit anderen Augen (2013)
Peter Brandt verbindet die familieninterne Sicht mit dem analytischen Blick des Historikers. So entstand zum 100. Geburtstag von Willy Brandt am 18. Dezember 2013 ein Essay, der Privates und Politisches gemeinsam deutet und bislang weniger bekannte Züge dieser Jahrhundertgestalt mit kritischer Zuneigung herausarbeitet.
Marc-Uwe Kling: Die Känguru-Chroniken (2009); Das Känguru-Manifest (2011), Die Känguru-Offenbarung (2014)
Ein Kleinkünstler und ein kommunistisches Känguru leben in einer Berliner WG, diskutieren das politische System, gucken Filme von Bud Spencer und Terence Hill und kämpfen gegen die kapitalistischen Weltvernichtungspläne des Pinguins.
Dave Eggers: Der Circle (2013)
Ein Thriller über einen datensüchtigen Internetkonzern, der ganz neu über die Bedeutung von Privatsphäre, Demokratie und Öffentlichkeit nachdenken und den Wunsch aufkommen lässt, die Welt und das Netz mögen uns manchmal vergessen.
Jonathan Franzen: Freiheit (2010)
Patty und Walter Berglund – Vorzeigeeltern und Umweltpioniere – geben plötzlich Rätsel auf: Ihr halbwüchsiger Sohn zieht zur proletenhaften republikanischen Familie nebenan, Walter lässt sich zum Schutz einer einzigen Vogelart auf einen zwielichtigen Pakt mit der Kohleindustrie ein, und Patty, Exsportlerin und Eins-a-Hausfrau, entpuppt sich als wahrlich sonderbar.
Kristine Bilchau: Die Glücklichen (2015)
Isabell und Georg sind ein glückliches Paar und leben mit ihrem Sohn in einer Hamburger Altbauwohnung in einem angesagten Stadtteil. Man frühstückt Bio-Brötchen und geht selbstverständlich chic essen. Dann wird sie krank und er verliert seinen Job als Redakteur.