Allerdings wird der Religionsunterricht noch immer bevorzugt:
SPD und SSW hatten Ende 2019 im Landtag den Antrag vorgelegt, in der Sekundarstufe I an den weiterführenden Schulen in Schleswig-Holstein künftig mindestens sechs Stunden das Fach WiPo (Wirtschaft und Politik) anzubieten. Martin Habersaat, bildungspolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion und Abgeordneter aus Reinbek: „Globalisierung, Digitalisierung, politischer Populismus und andere Entwicklungen fordern die demokratische Gesellschaft heraus. In der Schule vermitteln wir den jungen Menschen, was sie für das Leben brauchen. Und dazu gehört aus unserer Sicht die Fähigkeit, in unserer Demokratie Verantwortung für sich und andere zu übernehmen. Leider spiegelt sich die Bedeutung dieser Fähigkeit nicht in den Stundenplänen der Schülerinnen und Schüler wider.“
Eine Anfrage der SSW-Abgeordneten Jette Waldinger-Thiering hatte ergeben, dass das WiPo-Angebot an den Gymnasien im Land rückläufig ist. An 40 Prozent der Gymnasien werden nur null bis zwei Stunden WiPo in der Sekundarstufe I (Klasse 5-10) angeboten. An einigen Gemeinschaftsschulen gibt es das Fach vor Klasse 10 gar nicht oder mit einzelnen Inhalten im Fach Weltkunde aufgehend. Der Antrag von SSW und SPD wurde zur Beratung im neuen Jahr in den Bildungsausschuss überweisen. Die Landesregierung hat im Zuge der Landtagsberatungen angekündigt, künftig ein Minimum von vier Stunden festzulegen. Martin Habersaat, bis zu seinem Einzug in den Landtag selbst Lehrer für Deutsch, Geschichte und WiPo: „So ganz zufriedenstellend finden wir das nicht. Da wird im Jahr 2019 der Religionsunterricht unter Berufung auf Konkordat und Staatskirchenvertrag mit einer Mindeststundenzahl von sechs unter Bestandsschutz gestellt, für mehr Wirtschaft und Politik an unseren Schulen muss aber mühsam um jeden Mini-Fortschritt gerungen werden. Und im Rahmen ihrer Oberstufenreform will die Regierung das Fach gleich wieder schwächen…“
WiPo, Religion, Geografie und Geschichte bilden in der Kontingentstundentafel gemeinsam den Block Gesellschaftswissenschaften, für den beispielsweise an Gymnasien in der Sekundarstufe I 22 Stunden vorgesehen sind. Ein verpflichtende Mindeststundenzahl gibt es nur für Religion. Im Ranking „Politische Bildung 2018“ der Universität Bielefeld erreichte Schleswig-Holstein einen Spitzenplatz. „Schleswig-Holsteins Schulen belegen bei der politischen Bildung Spitzenplätze“, jubelt die Landesregierung noch heute auf ihren Webseiten. Grund war allerdings ein Missverständnis: Die Autoren waren davon ausgegangen, dass die Stunden, die für die Gesellschaftswissenschaften zur Verfügung stehen, auf die jeweiligen Fächer gleich verteilt werden. Das sieht in der Realität deutlich anders aus. Habersaat: „Im Ranking 2019 wird Schleswig-Holstein nun als ein Exempel vorgestellt werden, an dem man das Auseinanderklaffen von Norm und Wirklichkeit beispielhaft sehen kann.“
Natürlich brauche es auch die Lehrkräfte, die dieses Fach lebendig und mit Lebensweltbezug unterrichten können. Habersaat: „Leider mussten wir lesen, dass diese Landesregierung in ihrer Amtszeit schon 274 potentiellen WiPo-Referendaren mitgeteilt hat, dass sie in Schleswig-Holstein nicht ausgebildet werden können. Allein 88 davon im selbst ausgerufenen ‚Jahr der politischen Bildung‘ 2019.“
Foto: Regina Poersch (MdL, SPD), Martin Habersaat und Jette Waldinger-Thiering
Links:
Antrag von SSW und SPD zur Stärkung der politischen Bildung
Kontingentstundentafeln Schleswig-Holstein
Und Kleine Anfragen 19/1752 und 19/1753 (Jette Waldinger Thiering) zu WiPo an Schulen und Hochschulen