Wie Jamaika die Inklusion zurückdreht

Martin Habersaat vor dem Landeshaus
2020, Fotograf: Jan-Christoph Schultchen

Aus der Zeit gefallener Verordnungsentwurf, in den Sand gesetzte 200.000 Euro:

Die aktuelle Landesverordnung über sonderpädagogische Förderung (SoFVO) stammt vom 8. Juni 2018 und läuft am 30. Juli 2020 aus. Derzeit befindet sich eine Nachfolge-Verordnung im Anhörungsverfahren, die für viel Kritik sorgt. Der Reinbeker Landtagsabgeordnete Martin Habersaat, bildungspolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, kritisiert: „Dieser Entwurf ist weder inklusionsfördernd noch inklusionsfreundlich. Er widerspricht dem Kerngedanken des Schulgesetzes. Inklusion soll am Parlament vorbei geschleift werden.“ Außerdem kritisiert Habersaat, dass 200.000 Euro für ein Gutachten ausgegeben wurden, aus dem nun keine Konsequenzen gezogen werden.

Noch hofft Habersaat darauf, dass die Fraktionen von CDU, FDP und Grünen den Entwurf stoppen. Verordnungen werden zwar nicht im Landtag behandelt, aber üblicherweise wird unter den Koalitionspartnern Einvernehmen hergestellt. In das Ministerium setzt, zumindest in die Hausspitze, setzt er keine Hoffnung: „Um inklusive Schulen weiter zu entwickeln, wäre ein Gesamtkonzept notwendig. Das gibt es nicht. Dass diese Bildugsministerin nicht zu einer Weiterentwicklung der Inklusion bereit ist, hat sie mit ihrem Inklusionsbericht dokumentiert. Man dreht die die Inklusion in Schleswig-Holstein zurück, wo man eigentlich nächste Schritte in eine inklusive Zukunft aufzeigen müsste.“

Der erste Kritikpunkt aus Sicht des gelernten Gymnasiallehrers: Schülerinnen und Schüler mit dem Förderschwerpunkt soziale und emotionale Entwicklung sollen künftig von allgemeinbildenden Schulen an Förderzentren überwiesen werden können und für diese Zeit auch nicht Schüler der abgebenden Schule bleiben. Da auch die Dauer der Maßnahmen nicht befristet wird, sei das ein Schritt zurück zu mehr Schülerinnen und Schülern, die nicht-inklusiv an Förderzentren beschult werden. Habersaat: „Logisch ist das nicht: Wer sich auffällig verhält, kommt in eine Sondergruppe. Besser wären mit entsprechenden Ressourcen ausgestattete intensivpädagogische Maßnahmen an der allgemeinbildenden Schule, um diesen Kindern und Jugendlichen, die seit einigen Jahren auch als ‚Systemsprenger‘ bezeichnet werden, dort professionell zu helfen. Das können aber nicht die bisherigen Schulbegleiter, gebraucht werden gut ausgebildete Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen.“

Zweiter Kritikpunkt ist das Verfahren zur Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs, dieses soll laut Entwurf regelhaft zum Ende der Eingangsphase (Klasse 1 und 2 der Grundschule) eingeleitet werden. Habersaat: „Das ist das regelhafte Aufdrücken von ‚Stempeln‘, von denen wir eigentlich wegkommen wollen. Es widerspricht dem Gedanken des Schulgesetzes an dieser Stelle. Bisher sollte ein Förderbedarf frühestens zu diesem Zeitpunkt festgestellt werden, jetzt spätestens – ein Paradigmenwechsel.“ Auch das sei natürlich ein Schritt zurück. Damit inklusiv gearbeitet werden könne, müsse die Unterstützung systemisch sein, so dass alle Kinder und Jugendlichen sie bei Bedarf erhalten können. „Das Ziel müsste sein, die Grundschulen mit ausreichend Ressourcen auszustatten und auf die Feststellung von Förderbedarfen hier gänzlich zu verzichten. Doch nicht einmal zur Zukunft der Schulassistenz gibt es klare Aussagen. Vor einem Jahr hat das Bildungsministerium über 200.000 Euro für ein Gutachten ausgegeben, das diese Aussagen vorbereiten sollte. Hinweise auf eine Aufstockung der Mittel oder wenigstens Klarheit für die Schulassistenzkräfte auf befristeten Stellen: Fehlanzeige.“