Studie: Entwicklung von Lehrkräftebedarf und -angebot in Deutschland bis 2030
Von: Prof. i. R. Dr. Klaus Klemm
Auftrag: Verband Bildung und Erziehung (VBE)
Veröffentlichung: Januar 2022
In zwei Sätzen: Die Prognosen der Kultusministerkonferenz zum Lehrereinstellungsbedarf und -angebot in der Bundesrepublik Deutschland 2020 bis 2030 stimmen nicht. Tatsächlich fehlen an unseren Schulen bis 2030 81.000 Lehrkräfte.
Meine Zusammenfassung: Die KMK rechnet 2025 mit 20.130 fehlenden Lehrkräften, 2030 mit 13.380. Dabei fehlen vor allem Grundschullehrkräfte und Sonderpädagog*innen. Klaus Klemm stellt fest, dass bei den Bedarfszahlen Entwicklungen wie Inklusion, Ganztag und die Förderung von Brennpunktschulen unberücksichtigt geblieben sind und die Angebotsseite nicht valide berechnet ist. Besonders in den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) werde nur ein Drittel der Stellen fachlich adäquat besetzt werden können. Er kommt für 2025 eine Lücke von 45.000, 2030 schon auf eine von 81.000.
Mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention hat Deutschland sich zum Ziel eines inklusiven Schulsystems verpflichtet (das führt laut Klemm bis 2030 zu einem Mehrbedarf an 25.600 Stellen). Ab 2026 haben Grundschüler*innen das Recht auf eine Ganztagsbetreuung in der Schule (18.400 Stellen). Viele Bundesländer fangen an, Schulen in besonderen Problemlagen mit zusätzlichen Ressourcen auszustatten (24.700 Stellen). Personalbedarfe aus diesen drei Umständen kommen in einer Situation hinzu, in der geburtenstarke Jahrgänge in den Ruhestand wechseln und an vielen Schulen ohnehin nicht mehr alle Stellen zu besetzen sind.
Ob Bedarfe durch Nachwuchslehrkräfte gedeckt werden können, wird in vielen Bundesländern nicht valide erhoben. Klemm: „Die in den Modellrechnungen der Kultusministerkonferenz unterstellten Annahmen zum Neuangebot ausgebildeter Lehrkräfte sind im hohen Ausmaß unseriös.“ Weder sind die Annahmen der KMK durch Entwicklungen bei den Studierendenzahlen im Lehramtsstudium gedeckt noch durch die Zahl der Schulabsolventinnen und -absolventen in den kommenden Jahren. Mit einer Analyse für Nordrhein-Westfalen, die auf andere Länder tendenziell übertragbar sei, zeigt Klemm, dass 2030 nur für ein Drittel der Stellen für MINT-Lehrkräfte, die dann neu besetzt werden müssen, neu ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer verfügbar sein werden.
Mein Fazit: Es wird nicht reichen, nur kosmetische Maßnahmen zu beschließen. Die Lehrkräftebildung muss in den Hochschulen mit Priorität betrieben werden, die Länder müssen dafür sorgen, Engpässe 8z.B. Stellen für das Referendariat) und Hürden (z.B. absurde Mathematik-Prüfungen für angehende Grundschullehrkräfte) zu beseitigen. Es darf nicht mehr vorkommen, Fachseminare in angehenden Lehrkräften „aufzufüllen“.
Übrigens: In Schleswig-Holstein würden 81.000 fehlende Lehrkräfte bundesweit grob geschätzt eine Lücke 3.000 bedeuten. Bei uns ist an vielen Grundschulen die Lage schon heute dramatisch (1). Karin Prien hat zum Ende der letzten Legislaturperiode ein neues Gremium zur Lösung des Nachwuchsproblems ins Leben gerufen, ist den Sitzungen des Vorgängergremiums aber ferngeblieben (2). Ein seit Jahren vielfach beworbenes „Lehrkräftebedarfsanalysetool“ liefert bis heute keine Ergebnisse.
Links:
(1) https://www.martinhabersaat.de/2020/05/31/spd-landtagsfraktion-zur-lage-an-den-grundschulen/