Studien und Politik: Bildungsbericht 2022

Schüler (Pixabay)

Studie: Bildung in Deutschland 2022

Von: Federführung beim DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation

Auftrag: Gefördert von der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (KMK) und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)

Veröffentlichung: Juni 2022

In zwei Sätzen: Alle zwei Jahre wird eine systematische Bestandsaufnahme des Bildungssystems in Deutschland auf Grundlage der amtlichen Statistiken und sozialwissenschaftlicher Erhebungen erstellt. In keinem Bundesland ist die Ausgangslage für das Recht auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule so schlecht wie in Schleswig-Holstein.

Meine Zusammenfassung: Bildungserfolge von Kindern stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit der sozioökonomischen Situation der Familie. Mit Blick darauf lassen sich drei wesentliche Risikofaktoren ausmachen: ein niedriger Bildungsstand der Eltern, Erwerbslosigkeit und eine Armutsgefährdung des Haushalts. 2020 war weiterhin mehr als jedes 4. Kind von mindestens einer Risikolage betroffen. Eltern in diesen Familien lesen weniger vor (der Unterschied ist während der Corona-Jahre größer geworden) und geben ihr unter 3-jähriges Kind seltener in frühkindliche Bildungsangebote. Während 92 % der 3- bis unter 6-Jährigen 2021 Angebote der Kindertagesbetreuung in Anspruch nahmen, zeigen sich bei den unter 3-Jährigen Unterschiede in der Bildungsbeteiligung der Kinder je nach Bildungsabschluss der Eltern. Mit 38 % am höchsten ist die Inanspruchnahme bei Eltern mit den höchsten Bildungsabschlüssen.

Ein hochwertiges Bildungsangebot braucht ausreichend und gut qualifiziertes Personal. Im Jahr 2020 sind 2,6 Millionen Menschen (+20 % gegenüber 2010) in Kindertageseinrichtungen und in der Kindertagespflege (759.500), an allgemeinbildenden und beruflichen Schulen (1.109.500) sowie an Hochschulen (710.000) beschäftigt. Der Fachkräftemangel stellt momentan und in den kommenden Jahren die vielleicht größte Herausforderung für das Feld der Frühen Bildung dar. Aktuellen Vorausberechnungen zufolge werden den Kitas in Westdeutschland im Jahr 2025 bis zu 73.000 Fachkräfte fehlen. Auch wenn bis 2025 rund 418.000 Kita-Fachkräfte in der Frühen Bildung verbleiben und vermutlich knapp 150.000 Neuausgebildete hinzukommen, lässt sich der Gesamtbedarf von voraussichtlich mehr als 600.000 Fachkräften damit nicht decken.

Mit dem neuen Ganztagsförderungsgesetz wurde bundeseinheitlich ein ab 2026 stufenweise in Kraft tretender Rechtsanspruch für Grundschulkinder auf ein ganztägiges Angebot geschaffen mit dem Ziel einer gleichberechtigten Teilhabe. Im Schuljahr 2020/21 nutzen 54 % der Grundschulkinder in Deutschland Ganztagsangebote in Schulen oder Horten. Der Elternbedarf liegt bei 63 %, hinzu kommen 10 % mit kürzeren Bedarfen. In keinem Bundesland ist die Beteiligung am Ganztag so klein wie in Schleswig-Holstein (33 %). Und nirgends ist die Bedarfslücke so groß (14 %). (S.136)

Mit weniger als 900.000 Neuzugängen hat die Entwicklung in der beruflichen Ausbildung 2021 einen Tiefpunkt erreicht. Als besonders drastisch erweist sich die Abnahme der Neuzugänge im dualen System, für das zwischen 2019 und 2021 eine deutliche Reduktion der betrieblichen Ausbildungsplätze und in noch stärkerem Maße ein Rück- gang der Nachfrage durch Jugendliche zu verzeichnen ist.

Die noch anhaltende Corona-Pandemie und das durch den Krieg in der Ukraine fluchtbedingte Zuwanderungsaufkommen stellen das Bildungssystem aktuell vor Herausforderungen. Vor allem in Anbetracht der Herausforderungen vermehrter Zuwanderung zeigt sich die Bedeutung einer sich auch über spätere Phasen im Lebens- verlauf erstreckenden Bildungsteilhabe.

Mein Fazit: Ist es Zufall oder Folge einer neokonservativen Bildungspolitik, dass ausgerechnet in den schwarzgrün regierten Ländern Schleswig-Holstein und Hessen die Ausgangslage für den Ganztagsausbau am schlechtesten ist? Es wird höchste Zeit, dass die Rahmenbedingungen für den Ganztagsausbau geklärt und die Fachkräfteoffensive nicht nur angekündigt, sondern gestartet werden.

Übrigens: Die schwierige Personallage beim Ganztagsausbau trifft zusammen mit einer ohnehin schwierigen Fachkräftesituation an den Grundschulen (1). Eine Expertin der Bertelsmann Stiftung stellt bereits in Frage, ob Schleswig-Holstein das Recht auf Ganztag umsetzen kann.

Links:

(1) Große Anfrage zur Lage an den Grundschulen

https://www.martinhabersaat.de/2020/06/20/grosse-frage-zur-lage-der-grundschulen/

(2) Fachkräfte-Radar für KiTa und Grundschule 2022

https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2022/juli/mehr-als-100000-fachkraefte-fehlen-fuer-guten-ganztag-fuer-grundschulkinder-bis-2030