Martin Habersaat sieht vor allem sechs Gründe für die schwierige Lage:
Der IQB-Bildungstrend untersucht im Auftrag der Kultusministerkonferenz die Leistungsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler in Deutschland. Aktuell diagnostiziert er Leistungsverschlechterungen bei Viertklässler*innen in den Fächern Deutsch und Mathematik. In ersten Kommentierungen wurde das mit der Corona-Krise und den damit verbundenen Schulschließungen erklärt. „Doch die Gründe sind vielschichtiger“, sagt Martin Habersaat, der bildungspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion. Wer alles mit Corona erkläre, mache es sich zu einfach. Der Studie zufolge erreichen in Deutsch und Mathematik deutlich weniger Viertklässler*innen die KMK-Bildungsstandards als bei den letzten Erhebungen 2011 und 2016. Im Vergleich zur letzten Erhebung 2016 entsprechen die Kompetenzrückgänge im Lesen etwa einem Drittel, in Rechtschreibung und Mathematik einem Viertel eines Schuljahres. Die Studie bestätigt nicht nur, dass Erfolg in der Schule stark vom Elternhaus abhängt, sondern kommt zu dem Ergebnis, dass der Zusammenhang zwischen Kompetenzen und sozioökonomischem Status der Familie sogar in allen Bereichen zugenommen hat.
Habersaat: „All das sind besorgniserregende Befunde, zu denen sicherlich auch Corona und die Schulschließungen beigetragen haben. Aber: Verschlechterungen machte das IQB auch schon von 2011 auf 2016 aus. Die Probleme an unseren Grundschulen liegen also tiefer.“ Mit Blick auf Schleswig-Holstein fordert Habersaar, eine Vielzahl von Ursachen in den Blick zu nehmen. Die Landesregierung müsse die vorhandenen Probleme schnell abstellen. Ein „Weiter so“ können sich Eltern und Kinder nicht leisten. Sechs Faktoren benennt der Bildungspolitiker: „Erstens: Öffentlich organisierte Bildung beginnt im Kindergarten. Hier werden wichtige Grundlagen gelegt. Noch immer fehlen in Schleswig-Holstein zigtausende Kita-Plätze. Vorhandene Einrichtungen leider unter Personalmangel und müssen teilweise ihre Angebote einschränken. Zweitens: Schon im dritten Jahr in Folge haben die Schuleingangsuntersuchungen in Schleswig-Holstein nicht flächendeckend stattgefunden. Wichtige Informationen fehlen, Hilfsangebote können nicht passgenau entwickelt werden. Drittens: In keinem Bundesland ist die Teilnahme an Ganztagsangeboten von Grundschulkindern so niedrig wie in Schleswig-Holstein. Nur ein knappes Drittel der Kinder ist dabei. Gleichzeitig ist die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage nirgends größer als in Schleswig-Holstein. Viertens: Die Grundschulen leiden unter Fachkräftemangel. Ausgebildete Grundschullehrkräfte fehlen ebenso wie Sonderpädagog*innen. Wer an den Schulen arbeitet, tut das mit großem Einsatz, aber nicht jede Lücke kann kompensiert werden. Fünftens: Im Bereich der Inklusion gab es in den letzten Jahren keine Fortschritte. Auch für die neue Legislaturperiode ist die Landesregierung nur unter Bedingungen zu einem Ausbau der Schulassistenz bereit. Sie verlangt im Koalitionsvertrag Wohlverhalten von den Kommunen und nimmt Kinder mit besonderem Förderbedarf als Geisel. Sechstens: Anstatt auf die Belastung des vorhandenen Personals und die Qualität der unterrichteten Stunden zu achten, setzt die Landesregierung wiederholt auf eine Erhöhung der zu unterrichtenden Stunden. Das klingt in Pressemitteilungen gut, mehr vom gleichen ist, wenn es so große Probleme im System gibt, aber selten die Lösung.“
IQB Bildungstrend 2021