Bei allen Amtsgerichten sind Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher tätig, die Zustellungen (z.B. von Pfändungsbeschlüssen oder einstweiligen Verfügungen) durchführen, Zwangsvollstreckungen bewirken, aus Räumungstiteln vollstrecken und auch die Vermögensauskunft (früher oft Offenbarungseid genannt) abnehmen. Wie geht es den Gerichtsvollziehern beim Amtsgericht Reinbek? Wie sieht ihr Alltag aus? Welche gesellschaftlichen Entwicklungen beobachten und welche Folgen der steigenden Inflation erwarten sie? Das wollte Martin Habersaat, SPD-Landtagsabgeordneter aus Reinbek, von ihnen direkt erfahren und traf drei der vier, Martin Kühne, Jessica Popp und Katrin Matthiessen, im Amtsgericht Reinbek.
Martin Habersaat: „Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher sind ein unverzichtbarer Bestandteil der Justiz, denn sie setzen in letzter Konsequenz Urteile und Beschlüsse des Gerichts durch.“ Sie regeln ihren Geschäftsbetrieb weitgehend selbständig, treffen im Außendienst oft auf soziale Brennpunkte, was ein großes Einfühlungsvermögen und eine gefestigte Persönlichkeit erfordert. Pfändungsversuche und Hausbesuche sind seit einer Reform 2013 seltener geworden, in der Regel gibt es auch kaum etwas zu pfänden. Es kommt nicht selten vor, dass Gerichtsvollzieher und Schuldner sich über Jahre immer wieder begegnen. Die Existenz von Menschen ist vor allem dort betroffen, wo Energieleitungen gekappt oder Wohnungen geräumt werden müssen. 15 bis 20 solcher Zwangsräumungen gibt es in Reinbek im Jahr. Dazu kommt es, wenn die Miete nicht gezahlt wird und die Vermieter ein entsprechendes Urteil erwirken. Eine Zwangsräumung wird einen Monat im Voraus angekündigt, in der Regel ist das örtliche Ordnungsamt dabei, um zu vermeiden, dass Menschen „in die Obdachlosigkeit“ geräumt werden. „Da Betroffene ihre Post oft nicht mehr regelmäßig lesen, wird von uns Wert darauf gelegt, im Vorfeld persönlich Bescheid zu geben“, berichtet Martin Kühne.
Die Corona-Pandemie hat vor allem viele Kleinunternehmer getroffen, da staatliche Hilfen zwar Unternehmen retten sollten, der „Unternehmerlohn“ bei dieser Rettung aber nicht berücksichtigt war. Die Folgen der Inflation und der steigenden Energiepreise werden erst im Laufe des Jahres 2023 sichtbar werden, vermuten die Experten. „Wenn Rechnungen nicht gezahlt werden können, dauert es eine ganze Weile, bis die Fälle bei uns landen“, berichtet Jessica Popp. Leider holten viele Schuldnerinnen und Schuldner sich zu spät Hilfe. In der Regel sind die Gerichtsvollzieher*innen allein unterwegs, und im Großen und Ganzen fühlen sie sich sicher. „Wo wir Schwierigkeiten vermuten, können wir die Polizei vorab informieren, die dann mit uns kooperiert“, erzählt Katrin Matthiessen. Bei einer Gruppe komme das in den letzten Jahren vermehrt vor: Bei den sogenannten Reichsbürgern. Martin Habersaat: „Auf einige dieser Menschen, die den Staat und seine Institutionen nicht anerkennen, bin ich im Rahmen meiner Haustürbesuche auch schon getroffen. Glücklicherweise bisher nie so, dass ich mich unsicher gefühlt habe. Aber es ist schon eine merkwürde Vorstellung zu wissen, dass es Menschen gibt, die ihren Kindern beibringen, geheime Mächte steuern in Wirklichkeit unser Zusammenleben.“
Foto: Martin Habersaat vor dem Amtsgericht Reinbek. Weil es in der Vergangenheit zu Bedrohungen von Gerichtsvollziehern kam, wollten diese lieber nicht mit auf das Bild.