Lehrkräftebedarf in Schleswig-Holstein

Martin Habersaat (Fotograf: Tim Dürbrook)

So dramatisch wird die Lage:  

Bereits im ersten 100-Tage-Programm der Regierung Günther im Jahr 2017 tauchte eine neue Vokabel auf, die das Herz von Scrabble-Freunden höher schlagen ließ: „Lehrkräftebedarfsanalysetool“. Mit diesem neuen Werkzeug wollte die Landesregierung errechnen, wie die fächerbezogenen Lehrkräftebedarfe sich entwickeln, wie sich Altersabgänge und politische Beschlüsse (z.B. Rückkehr zu G9, Pflichtfach Informatik) auswirken und welche Bedarfsdeckung durch Hochschulabsolvent*innen dem mutmaßlich gegenübersteht. Mit fünf Jahre Verzögerung legte die Landesregierung schließlich eine erste Simulation für den Zeitraum bis 2032 vor und belegte, was an den Schulen alle wussten: Es wird eng, vor allem an den Grundschulen und Gemeinschaftsschulen werden Fachkräfte fehlen. Aber auch in bestimmten Fächern sieht es düster aus, etwa in Mathe und Physik.

„Die Lage für die Gemeinschaftsschulen sieht auch deshalb so trüb aus, weil Bildungsministerin Prien gegen den Rat von Fachleuten die Ausbildung von Gymnasial- und Gemeinschaftsschullehrkräften auseinandergerissen hat“, bilanziert Martin Habersaat. Der Reinbeker ist selbst ausgebildeter Lehrer und bildungspolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion. Er hat sich die Zahlen genau angesehen und sieht massive Handlungsbedarfe: „Wir müssen uns angucken, nach welchen Kriterien wir angehende Lehrkräfte an die Hochschulen lassen, wie wir sie im Studium auf die Praxis vorbereiten und an welchen Hürden sie teilweise scheitern.“ Als ein Beispiel werde immer wieder die Ausbildung von Mathematik-Lehrkräften für die Grundschule genannt, die sich im Studium teilweise mit angehenden Hochschulmathematikern in einem Seminar befinden.

Auch die Fächer Kunst und Musik werden absehbar nicht mehr im geplanten Umfang durch ausgebildete Lehrkräfte unterrichtet werden können. Habersaat: „Zur Wahrheit gehört hier: Wer Musik auf Lehramt studieren möchte, wird das nur können, wenn er oder sie in jungen Jahren Privatunterricht an einer Musikschule erhalten hat. Der Musikunterricht in der Schule bereitet nicht hinreichend auf ein Studium vor.“ Wolle eine Gesellschaft bzw. eine Landesregierung nun aber Musikunterricht an den Schulen sichern, werde sie auch den Unterricht in Musikschulen fördern müssen. Nicht betrachtet werden mit dem Analysetool die Bedarfe an Sonderpädagogen und Berufsschullehrkräften. Für Habersaat ein Fehler: „Auch hier können die Schulen die vorhandenen Stellen schon lange nicht mehr adäquat besetzen.“ Um dem dramatischen Lehrkräftemangel zu begegnen, hatte die Ständige Wissenschaftliche Kommission der KMK (SWK) jüngst ein Maßnahmenpaket vorgelegt, das nach Habersaats Einschätzung die bildungspolitische Debatte in den kommenden Monaten prägen wird.

 

 

Ergebnisse der Simulation der fächerbezogenen Lehrkräftebedarfe 2022 (Simulationszeitraum 2021 – 2032)

 

Neueinstellungsbedarf bis 2023 vs. Bedarfsdeckung aus Hochschulen – Auszüge

 

Deutsch Gymnasien: 264% (864 vs. 2.123)

Geschichte Gymnasien: 334% (315 vs. 1.052)

Mathematik Gymnasien: 63% (644 vs. 1.027)

Musik Gymnasien: 39% (406 vs. 159)

Physik Gymnasien: 42% (442 vs. 187)

 

Deutsch GMS: 38% (1.005 vs. 378)

Geschichte GMS: 27% (389 vs. 103)

Mathematik GMS: 24% (240 vs. 1.005)

Musik GMS: 31% (229 vs. 71)

Physik GMS: 28% (317 vs. 87)

 

Deutsch Grundschule: 111% (1.670 vs. 1.849)

Mathe Grundschule: 20% (1.862 vs. 491)

Sachunterricht Grundschule: 118% (834 vs. 986)

Musik Grundschule: 7% (973 vs. 65)

 

 

Material

 

Ergebnisse der Simulation der fächerbezogenen Lehrkräftebedarfe 2022 (Simulationszeitraum 2021 – 2032)

https://www.landtag.ltsh.de/infothek/wahl20/umdrucke/00400/umdruck-20-00474.pdf

SWK-Vorschläge

https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/KMK/SWK/2023/SWK-2023-Stellungnahme_Lehrkraeftemangel.pdf