Studie: Jugendliche ohne Hauptschulabschluss. Demographische Verknappung und qualifikatorische Vergeudung.
Von: Klaus Klemm
Auftrag: Bertelsmann Stiftung
Veröffentlichung: März 2023
In zwei Sätzen: In den letzten zehn Jahren gab es kaum Fortschritte dabei, die Quote der Schüler*innen ohne Ersten allgemeinbildenden Schulabschluss zu verringern. Auch in Schleswig-Holstein stagniert die Lage, obwohl einzelne Bundesländer durchaus Fortschritte machen.
Meine Zusammenfassung:
Im Jahr 2021 verließen 47.500 Jugendliche am Ende ihrer Pflichtschulzeit die Schule ohne Ersten allgemeinbildenden Schulabschluss (ESA). Das entspricht einem Anteil von 6,2 Prozent an der Gleichaltrigengruppe. 2011 waren es 6,1 Prozent. Die Spannweite reicht von 5,1 Prozent in Bayern bis hin zu 10 Prozent in Bremen. Schleswig-Holstein lag mit einem Anteil von 7,4 Prozent erneut über dem Bundesschnitt. Im Vergleich zu 2011 gab es kaum Fortschritte, für einzelne Bundesländer, wie Berlin, Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern, lassen sich hingegen positive Entwicklungstendenzen verzeichnen.
Dem gegenüber steht eine wachsende Zahl von Unternehmen, die über Schwierigkeiten berichten, Fachkräfte zu rekrutieren. Vor dem Hintergrund einer stark demographisch bedingten Verknappung kommt der schulischen und beruflichen Qualifikation der heranwachsenden Generation eine besonders große Bedeutung zu, mit Blick auf die persönlichen Lebensläufe ohnehin. Das Verfehlen des ESA prägt für einen großen Teil der jungen Erwachsenen ihren weiteren Ausbildungs- und Berufsweg. Auch wenn es einem Teil der Jugendlichen gelingt, im Zusammenhang mit einer beruflichen Ausbildung diesen Abschluss noch nachzuholen, erhalten etwa 70 Prozent der jungen Menschen ohne ESA im Anschluss an ihre Schulzeit keinen Ausbildungsplatz. 18,3 Prozent (Bund: 18,1 Prozent) der jungen Menschen zwischen 20 und 30 waren in Schleswig-Holstein 2021 ohne abgeschlossene Berufsausbildung. Ihr weiterer beruflicher Weg ist geprägt von der Bedrohung durch Arbeitslosigkeit. Bundesweit lag im Jahr 2021 die Arbeitslosenquote in der Gruppe der Ausbildungslosen bei 21 Prozent.
Die überwiegende Zahl der Jugendlichen, die die allgemeinbildende Schule ohne ESA verlassen, bricht die Schule nicht ab, sondern verlässt sie nach Absolvierung der für die allgemeinbildenden Schulen gesetzlich vorgeschriebenen Schulpflicht. An den Werten des Jahres 2020 ist bemerkenswert, dass sie in allen Bundesländern − mit der Ausnahme Hamburgs − und auch im Bundesdurchschnitt im Vergleich zum Vorjahr 2019 gesunken sind: Im Bundesdurchschnitt um einen Prozentpunkt von 6,9 auf 5,9 Prozent. Vieles spricht dafür, dass dieses Absinken einem zurückhaltenden Umgang mit Schulleistungen in dem für Schülerinnen und Schüler besonders belastenden Jahr der Corona-Pandemie geschuldet ist – zumal dieser Rückgang der Quote im Bundesdurchschnitt und bei der Mehrheit der Bundesländer eine Trendumkehr bedeutet.
Ein differenzierter Blick auf die Gruppe der Schülerinnen und Schüler, die den ESA im Jahr 2020 nicht erreicht haben, zeigt, dass in dieser Gruppe Jungen mit mehr als 60 Prozent überrepräsentiert waren, in Schleswig-Holstein mit 62,4 Prozent. In Schleswig-Holstein waren es 2020 insgesamt 7,5 Prozent ohne ESA, bei den Schülerinnen und Schülern ohne deutsche Staatsbürgerschaft 18,4 Prozent (wohingegen diese Gruppe in Berlin und Brandenburg sogar besser abschneidet als die Gesamtmenge, S.15). Die Wahrscheinlichkeit, ohne Abschluss die Schule zu verlassen ist in Ostholstein (12,2 Prozent) fast dreimal so hoch wie im benachbarten Stormarn (4,5 Prozent, S.17.), 2011 war Ostholstein mit einer Quote von 7,9 Prozent noch dicht beim Landesschnitt von 7,1 Prozent gelegen. (S.37).
Da die Leistungsstudien der vergangenen Jahre erhebliche Zweifel daran haben aufkommen lassen, wurde der Indikator ‚ohne Hauptschulabschluss‘ im öffentlichen wie auch im fachwissenschaftlichen Diskurs weitgehend abgelöst – oder doch zumindest ergänzt – durch die Messung von Kompetenzen, die in standardisierten Tests nachgewiesen werden. Klemm mahnt deshalb an, die Erreichung der IQB-Standards mit zu betrachten, wodurch sich sonders für die ostdeutschen Bundesländer ein positiveres Bild ergebe (S.14).
Mein Fazit:
Die Bildungsministerin muss jetzt aufhören, sich die Lage an den Schulen schönzureden. Fast jede zehnte Lehrkraft an den Schulen in Schleswig-Holstein ist keine ausgebildete Lehrkraft. Es fehlen tausende Fachkräfte und nicht die immer wieder von Frau Prien behaupteten 200. Beim IQB-Bildungstrend ging es in allen Feldern bergab, zu gemeinsamen Konsequenzen konnten sich Sozial- und Bildungsministerin bisher nicht durchringen. Die Entlastung für Klassenlehrkräfte, wie die SPD sie fordert, wäre eine wichtige Maßnahme zum Gegensteuern, weil wir wieder Raum für Pädagogik brauchen. Konzepte für leistungsschwache Schülerinnen und Schüler brauchen wir über die Perspektivschulen hinaus.
Übrigens:
Nur zwei Bundesländer schaffen es, die 2020 beschlossene Schülerdatennorm umzusetzen und die Daten vom jungen Menschen ohne Anschlussperspektive an die zuständigen Jobcenter zu übermitteln. Das sind Hamburg und Bremen und nicht das selbsternannte Digitalisierungswunderland Schleswig-Holstein
Links:
IQB-Bildungstrend
Schüler*innen ohne Abschluss
https://www.martinhabersaat.de/2022/11/09/schuelerinnen-ohne-abschluss/