Kinder kommen mit unterschiedlichsten Voraussetzungen an den Grundschulen an. Diese müssen ihre Schülerinnen und Schüler ausgehend vom unterschiedlichen Entwicklungsstand in den basalen sprachlichen, mathematischen und sozial- emotionalen Kompetenzen individuell fördern. Das gelingt umso leichter, je besser die Vorarbeit in der Kita ist und je besser darauf aufgebaut werden kann. Der Übergang von der Kita in die Grundschule ist deshalb ein entscheidender Zeitpunkt für die Bildung von Kindern. Was hier nicht funktioniert, können viele Grundschüler kaum aufholen. Diesen Übergang wollten deshalb SPD und SSW genau in den Blick zu nehmen und stellten der Landesregierung dazu zahlreiche Fragen. Nun liegt der Bericht vor. Martin Habersaat, Landtagsabgeordneter aus Reinbek und bildungspolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, beklagt „zahlreiche blinde Flecken trotz nicht weniger als drei zuständiger Ministerien“. Er wertete die Antwort auch mit Blick auf die Kreise Stormarn und Herzogtum Lauenburg aus.
In Schleswig-Holstein liegt vieles im Argen, wie zuletzt beispielsweise der IQB-Bildungstrend zeigte: Vor den Sommerferien 2021 wurden die Kompetenzen von Viertklässler*Innen in den Fächern Deutsch und Mathematik getestet. Die Zahl der Kinder, die die Mindeststandards verfehlen, ist im Vergleich zu den Durchläufen 2011 und 2016 deutlich gestiegen. Habersaat: „Zunehmend wird das Fehlen eines Grundwortschatzes bei einzuschulenden Kindern beobachtet. Andererseits zeigen Länder wie Hamburg, dass ein funktionierender Übergang geeignet ist, dem Ziel der Bildungsgerechtigkeit zumindest näherzukommen.“ In Schleswig-Holstein sind für diesen Übergang nicht weniger als drei Ministerien zuständig: Die Kitas und ihr Bildungsauftrag werden vom Sozialministerium verantwortet, für die Schulen ist das Bildungsministerium zuständig und für die Schuleingangsuntersuchungen das Ministerium für Justiz und Gesundheit zusammen mit den Gesundheitsämtern der Kreise. Und trotzdem wisse man Vieles einfach nicht, beklagt der Abgeordnete.
Manche Kinder besuchen gar keine Kindertageseinrichtung. Über Gründe, aus denen Kinder in Schleswig-Holstein keine Kindertageseinrichtung besuchen, liegen für Schleswig-Holstein keine Daten vor, in einigen Städten und Gemeinden fehlen schlicht notwendige Plätze. Grundschulen und Kitas sollen Kooperationsvereinbarungen haben. Weil es im Gesetz steht, geht das Ministerium davon aus, dass diese vorhanden sind. Inhaltliche Vorgaben oder eine landesweite Qualitätssicherung gibt es nicht. Die Inhalte in den vor Ort getroffenen Kooperationsvereinbarungen variieren. Über Art und Umfang des Informationsaustausches zwischen den einzelnen Kitas und Grundschulen liegen keine Informationen vor. Regelmäßige, gegenseitige Besuche und Hospitationen der Fachkräfte der Kindertageseinrichtungen und der Lehrkräfte sind zulässig, über konkrete Kinder dürfen die pädagogischen Fachkräfte dabei leider nicht sprechen. Die Förderzentren sind für vorschulische Prävention zuständig. Dafür stehen landesweit 49 Vollzeitstellen zur Verfügung. Wie viele Kinder fördern diese in welchen Schwerpunkten? Das weiß leider keines der drei beteiligten Ministerien. Eine statistische Erhebung, wie viele Kinder vorschulisch gefördert worden sind und wie sich die Lehrerwochenstunden inhaltlich auf die einzelnen möglichen Förderbedarfe beziehen, liegt nicht vor.
Die Sprachstandserhebung in den Kitas in Schleswig-Holstein erfolgt je nach Region unterschiedlich. Es gibt kein festgelegtes Diagnoseverfahren. Und so schwankt dann auch je nach Kreis oder kreisfreier Stadt die Zahl der Kinder in Sprachförderkursen im Schuljahr 2021/22 heftig: zwischen 2 (Lübeck) oder 12 (Kiel) bis zu 347 (Rendsburg-Eckernförde) oder 361 (Pinneberg). In Stormarn waren es 105, im Kreis Herzogtum Lauenburg trotz geringerer Einwohnerzahl 245.
Habersaat: „Die ersten zwei Jahrgangsstufen legen die Basis für eine erfolgreiche Schullaufbahn. Viele Schulen organisieren eine jahrgangsübergreifende Eingangsphase (JÜL), um den unterschiedlichen Voraussetzungen gerecht zu werden. Während das in Nordfriesland und Flensburg beispielsweise die Regel ist, kommt es in Stormarn und dem Kreis Herzogtum Lauenburg praktisch nicht vor. Warum?“ An zu vielen Stellen laute die Antwort: Wir wissen es nicht. Wer allerdings Lösungen entwickeln und die Chancen von Kindern verbessern wolle, müsse erst hinsehen und dann handeln. „Schleswig-Holstein leistet sich allzu viele statistische und konzeptionelle Lücken, die geschlossen werden müssen. Wir haben Kitas und Schulen, die Großartiges leisten und die in landesweite Konzepte eingebunden werden sollten. Es reicht nicht, punktuell um Perspektivschulen herum mehr zu machen. Datenschutz muss dem Wohl der Kinder dienen und darf diesem nicht im Wege stehen. Schleswig-Holstein hat viel zu tun!“
Material:
Bericht der Landesregierung zum Übergang von der Kindertageseinrichtung in die Grundschule (Druck- sache 20/931, auf Antrag von SPD und SSW):
https://www.landtag.ltsh.de/infothek/wahl20/drucks/00900/drucksache-20-00931.pdf
IQB-Studie für Schleswig-Holstein