Lehrkräfte sind beim Land angestellt. Ihren Arbeitsplatz haben sie an Schulen, für deren Bau und Ausstattung die Schulträger zuständig sind. Dieser Umstand und nachlässiges Handeln der Landesregierung führen zu Lücken bei Arbeitsmedizin und Arbeitssicherheit für Lehrkräfte. Zu dieser Einschätzung kommt Martin Habersaat, bildungspolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion und Abgeordneter aus Reinbek, nach der Auswertung zweier Kleiner Anfragen an die Regierung. Bereits im Jahr 2019 hatte eine Große Anfrage der SPD-Landtagsfraktion Schwachstellen in den Bereichen Arbeitsmedizin und Arbeitssicherheit auch an den Schulen in Schleswig-Holstein offengelegt, woraufhin auch der Hauptpersonalrat (HPR) auf dringende Handlungsnotwendigkeiten und lange bekannte Versorgungslücken hinwies. „Passiert ist seitdem allerdings wenig“, kritisiert Habersaat.
Die Große Anfrage und die HPR-Stellungnahme 2019 bezeichnet er als einen einen Weckruf, der leider vollkommen verhallt sei. „Damals beklagte der HPR Versorgungslücken, fehlende Schulungen und Schwierigkeiten, Kontakt zur Betriebsärztin aufzunehmen. Es wurde berichtet, dass Gefährdungsbeurteilungen zum Teil vollständig fehlten, es Schulleitungen an notwendiger Unterstützung mangelte und neben langen Wartezeiten für Beratung oder Termine zusätzlich unklare Zuständigkeiten zwischen Arbeitgeber (Land) und Schulträger (Kommunen) vorlägen.“ Die Chance, Schwachstellen zu beseitigen und den Pflichten eines Arbeitgebers nachzukommen, der glaubhaft für Prävention und Gesundheitsschutz der Lehrkräfte eintritt, habe das Land leider verstreichen lassen. Weder eine systematische Evaluation, noch eine Überprüfung oder Dokumentation des damaligen Status Quo fanden statt. Habersaat: „Vor dem Hintergrund der stetig steigenden Herausforderungen, vor denen die Lehrkräfte in Schleswig Holstein stehen, ist das schlicht zu wenig.“
Für rund 28.000 Beschäftigte an knapp 800 Schulen sind Gesundheitsschutz und Arbeitssicherheit zu gewährleisten. Die Zuständigkeit für die Arbeitssicherheit sieht das Land, obwohl Arbeitgeber, allein bei den Schulträgern. Diese teilen diese Rechtsauffassung jedoch nicht. Für die Arbeitsmedizinische Betreuung der Schulen stehen im Jahr 2023 456.000 Euro zu Verfügung, laut Erläuterung im Haushalt allerdings nicht nur für die arbeitsmedizinische Betreuung der an den öffentlichen Schulen tätigen Lehrkräfte, sondern auch für weitere Sachkosten, z.B. für Bildschirmarbeitsplatzbrillen, Sicherheitsschuhe, Impfungen und ähnliches. Habersaat: „Ob das reicht, ist ebenso zweifelhaft, wie die Frage, ob die vorgesehenen 4.700 Stunden arbeitsmedizinischer Betreuung für die gesamte arbeitsmedizinische Versorgung der 28.000 Lehrkräfte an über 800 Schulen des Landes ausreichen. Die Vorschriften der DGUV verlangen mindestens 0,2 Stunden im Jahr pro Beschäftigtem – allein in der Grundbetreuung. Die besonderen Anforderungen an den Beruf der Lehrkräfte, Umstellungen im Schulalltag, Digitalisierung, Inklusion und Integration sowie Personalmangel etc. sind darin also noch gar nicht abgebildet – denn hierfür gibt es die betriebsspezifische Betreuung.“
Die Verantwortung schiebe die Landesregierung den einzelnen Schulleitungen zu, ohne die notwendigen zeitlichen und finanziellen Ressourcen mitzuliefern. Die Schulleitungen tragen laut Ministerium als DienststellenleiterInnen die Verantwortung für die Umsetzung der arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften. Ob für diese wichtige Aufgabe ausreichend finanzielle und zeitliche Ressourcen sowie die notwendigen Handlungsspielräume zur Verfügung gestellt werden und ob die an den Schulen tätigen Kollegen diese Aufgaben überhaupt erfüllen (können), dazu schweigt das Ministerium. Offenbar will es dies auch gar nicht so genau wissen – denn im Gegensatz zu jedem privatwirtschaftlichen Arbeitgeber, der zu jedem Zeitpunkt auskunftsfähig sein muss, dem Dokumentations- und Kontrollpflichten unter Androhung hoher Strafen auferlegt werden, erwartet das Ministerium, dass die eigenen Mitarbeiter durch die staatliche Arbeitsschutzbehörde kontrolliert werden – ob und wann das jemals geschehen ist, darüber kann das Ministerium keine Auskünfte treffen. Martin Habersaat kommt zu folgendem Vergleich: „Es ist ein bisschen so, als warte man darauf, dass die Polizei einen schon irgendwann auf die abgelaufene TÜV-Plakette am eigenen Auto hinweisen wird.“ Dabei müssten für Land und Ministerium dieselben Regeln gelten, wie für jeden anderen Unternehmer auch. „Die Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer*innen zu schützen und zu bewahren, ist eine der wichtigsten Pflichten eines Arbeitgebers – und die Art, wie dies umgesetzt wird, sagt viel über die Wertschätzung aus, die den Arbeitnehmer*innen und ihrer wichtigen Aufgabe, der Bildung unserer Kinder und Jugend, entgegengebracht werden.“
Material
Große Anfrage der SPD-Landtagsfraktion von 2019
https://www.landtag.ltsh.de/infothek/wahl19/drucks/01700/drucksache-19-01756.pdf
Stellungnahme des HPR
https://www.landtag.ltsh.de/infothek/wahl19/umdrucke/04100/umdruck-19-04153.pdf
Kleine Anfragen 20/1094 und 20/1095
https://www.landtag.ltsh.de/infothek/wahl20/drucks/01000/drucksache-20-01094.pdf
https://www.landtag.ltsh.de/infothek/wahl20/drucks/01000/drucksache-20-01095.pdf