Studien und Politik: IQB-Bildungstrend 2022 in der Sekundarstufe I

IQB-Bildungstrend 2022
IQB-Bildungstrend 2022

Studien und Politik

Studie: IQB-Bildungstrend 2022 in der Sekundarstufe I

https://www.iqb.hu-berlin.de/bt/BT2022

Von: IQB – Institut für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen an der Humboldt-Universität zu Berlin unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Dr. Petra Stanat

Auftrag:

Die Studie ist Bestandteil der Gesamtstrategie der Kultusministerkonferenz zum Bildungsmonitoring und wurde auf Beschluss der Kultusministerinnen und Kultusminister der Länder durchgeführt.

Veröffentlichung:

Oktober 2023

In zwei Sätzen:

Die IQB-Studien verfolgen, wie die von der Kultusministerkonferenz gesetzten Standards in den Ländern erreicht werden. Dieses Mal ging es um Deutsch und Englisch. In Schleswig-Holstein fallen die Leistungen der Schülerinnen und Schüler in Deutsch in Klasse 9 deutlich ab.

Meine Zusammenfassung: 

Im IQB-Bildungstrend 2022 wurde zum dritten Mal das Erreichen der Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz (KMK) in den Fächern Deutsch und Englisch in Klasse 9 überprüft. Damit ist es möglich, in Bezug auf das Erreichen zentraler Bildungsstandards in diesen Fächern für alle Länder Entwicklungstrends über einen Zeitraum von 13 Jahren zu beschreiben. Die Teilnahme an den Kompetenztests zum IQB-Bildungstrend 2022 war an öffentlichen Schulen verpflichtend. In den nach einem Zufallsverfahren gezogenen Schulen wurden ebenfalls per Zufall eine oder zwei Klassen bestimmt, die an der Testung teilnahmen. Alle teilnehmenden Schulen erhalten in einer separaten Rückmeldung eine Zusammenfassung der an der Schule erzielten Ergebnisse. Die Erhebungen zum IQB-Bildungstrend 2022 fanden zwischen April und Juli 2022 statt. In Deutsch ging es um die Teilbereiche „Lesen“, „Zuhören“ und „Orthografie“, in Englisch wurden Aufgaben zum „Leseverstehen“ und zum „Hörverstehen“ vorgelegt. Im Rahmen der Studie sollten auch Unterschiede in den schulischen und außerschulischen Lernbedingungen erfasst werden, um Anhaltspunkte für die Weiterentwicklung der Bildungssysteme der Länder liefern können. Ich konzentriere mich im Folgenden auf Ergebnisse und Anhaltspunkte für Schleswig-Holstein.

Einleitend werden Kennzahlen der Bundesländer verglichen. Beispiele: Die Summe der vorgesehenen Unterrichtsstunden in Deutsch und Englisch in den Jahrgangsstufen 5 bis 10 an allgemeinen Schulen ist in Schleswig-Holstein eher höher als niedriger als in den anderen Ländern (S.34). Deutlich schlechter ist ein anderer Wert: Vollgebundene Ganztagsschulen haben in Deutschland einen Anteil von 19,2 Prozent, Schleswig-Holstein liegt mit 1,8 Prozent weit abgeschlagen auf dem letzten Platz. Bei teilgebundenen Formen (D: 16,6 Prozent, SH: 7 Prozent) sieht es kaum besser aus. Zum Vergleich: In Hamburg sind es 23,1 und 17,9 Prozent. Die Zahl der Schüler*innen, die die Allgemeine Hochschulreife erreichen, steigt in Schleswig-Holstein. Leider auch die Zahl derer, die keinen Schulabschluss erreichen (S.45).

Deutsch

 

Lesen: Im Jahr 2022 haben etwa 15 Prozent der Neuntklässler*innen in Deutschland insgesamt den Mindeststandard für den ESA verfehlt, in Schleswig-Holstein waren es 12,5 Prozent. Während dieser Anteil in Schleswig-Holstein von 2009 bis 2015 signifikant gesunken war (-4,3), stieg er deutlich von 2015-2022 (+7,3). Bei den Schüler*innen, die den Mindeststandard für den MSA verfehlen, war es sogar ein Plus von 13,2 auf 30,9 Prozent. Der höchste Anstieg in allen Ländern (S.77). Deutschlandweit betreffen die Kompetenzeinbußen im Lesen vor allem die Jugendlichen mit geringerem kulturellen Kapital (als Indikator wurde die Zahl der Bücher im Haushalt genutzt). Die Streuung der Kompetenzwerte, also die Verteilung zwischen guten und schlechten Ergebnissen, hat sich in Schleswig-Holstein deutlich erhöht.

Zuhören: Im Jahr 2022 haben knapp 18 Prozent der Neuntklässler*innen in Deutschland insgesamt den Mindeststandard für den ESA verfehlt, in Schleswig-Holstein waren es 18,4 Prozent. Während es von 2009 auf 2015 keine signifikante Veränderung gab, stieg dieser Anteil jetzt deutlich. Beim MSA findet sich erneut der höchste Anstieg in allen Ländern (S.83). Auch hier ist die die Streuung der Kompetenzwerte in Schleswig-Holstein höher als in anderen Ländern.

Orthografie: Im Jahr 2022 haben rund 8 Prozent der Neuntklässler*innen in Deutschland insgesamt den Mindeststandard für den ESA verfehlt, in Schleswig-Holstein waren es 6,8 Prozent. Während es von 2009 bis 2015 Verbesserungen gab, gab es von 2015 bis 2022 deutliche Verschlechterungen (+4,1, beim MSA +10,3). Dagegen hat sich der Anteil der Neuntklässler*innen, die den Optimalstandard erreichen, deutlich verringert – auch an den Gymnasien. In keinem Bundesland ist in der Orthographie der Unterschied zwischen Mädchen und Jungen so ausgeprägt wie in Schleswig-Holstein (S.239).

Englisch

 

Leseverstehen: In Deutschland verfehlen 8,6 Prozent der Schüler*innen den ESA-Mindeststandard, beim MSA sind es 24,1%. Schleswig-Holstein kommt beim ESA auf 6,9 Prozent und beim MSA auf 21,4 Prozent.

Hörverstehen: Beim Hörverstehen verfehlen in Deutschland 1,7 Prozent der Schüler*innen den ESA-Mindeststandard, beim MSA sind es 14%. Schleswig-Holstein kommt beim ESA auf 1,4% und beim MSA auf 11,1%. Schleswig-Holstein liegt hier vergleichsweise gut, im Hörverstehen sogar besonders gut, verzeichnet aber nicht durchgängig so starke Verbesserungen wie andere Länder. Beim Hörverstehen ist die Streuung der Leistungen deutlich gestiegen, auch an den Gymnasien (S.185), die Heterogenität der gezeigten Leistungen ist also auch hier größer geworden. Allerdings: Die Leistungen von Jungen und Mädchen im Hörverstehen in Englisch unterscheiden sich in Schleswig-Holstein weniger stark als in anderen Ländern.

Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund

Insgesamt haben in Deutschland 37,7 Prozent der Schüler*innen in den neunten Klassen einen Migrationshintergrund. Dabei schwankt diese Zahl zwischen 10,6 Prozent in Sachsen-Anhalt und 57,1 Prozent in Bremen. Schleswig-Holstein hat mit 28,1 Prozent den niedrigsten Wert aller westdeutschen Länder, liegt bei Schüler*innen der ersten Zuwanderungsgeneration (sowohl beide Elternteile als auch das Kind selbst im Ausland geboren) aber mit 5,5 Prozent knapp über dem Bundesschnitt von 5,2 Prozent. Schüler*innen aus zugewanderten Familien erreichen in allen Kompetenzbereichen im Durchschnitt signifikant geringere Kompetenzen als Schüler*innen ohne Zuwanderungshintergrund, wobei die Unterschiede im Fach Deutsch jeweils stärker ausfallen als im Fach Englisch. Während sich im Kompetenzbereich Lesen der Abstand zwischen Kindern mit und ohne Migrationshintergrund in Schleswig-Holstein zwischen 2009 und 2015 verringert hatte, fielen Kinder mit Migrationshintergrund von 2015-2022 besonders stark ab. Sehr deutlich sind die Unterschiede auch im Bereich Zuhören.

Auffällig ist ferner, dass das Interesse der Schüler*innen im Fach Deutsch über das gesamte Kompetenzspektrum hinweg vergleichsweise niedrig ausgeprägt ist, während das Interesse im Fach Englisch nicht nur insgesamt höher ausfällt, sondern mit zunehmender Kompetenzstufe ansteigt. Interessant: Berechnungen für die Jahre 2015 und 2022 legen nahe, dass ein Ausschluss von Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf nur in sehr wenigen Fällen zu einem anderen Ergebnismuster führt (z.B. S.75). Mit anderen Worten: „Inklusion“ taugt als Ausrede für fallende Leistungen nicht.

 

Mein Fazit:

In ganz Deutschland geht es in Deutsch bergab, aber besonders stark in Schleswig-Holstein, leider wieder einmal. Auf der Suche nach Erklärungen und Gegenmaßnahmen empfehle ich drei Schwerpunkte: Es sollte im Deutschunterricht versucht werden, mehr Wert auf die Mindeststandards zu legen und gleichzeitig das Interesse der Schülerinnen und Schüler am Fach zu stärken – das geht am besten über Lebensweltbezug. Zweitens müssen wir uns den DaZ-Bereich vornehmen. Bei Schüler*innen der ersten Zuwanderungsgeneration liegt die Zahl in Schleswig-Holstein knapp über dem Bundesschnitt. Es sind diese Schüler*innen, die in späteren Jahren die größten Schwierigkeiten haben. Drittens brauchen wir eine Offensive für den gebundenen Ganztag. Vollgebundene Ganztagsschulen haben in Deutschland einen Anteil von 19,2 Prozent, Schleswig-Holstein liegt mit 1,8 Prozent weit abgeschlagen auf dem letzten Platz. Bei teilgebundenen Formen (D: 16,6 Prozent, SH: 7 Prozent) sieht es kaum besser aus. Zum Vergleich: In Hamburg sind es 23,1 und 17,9 Prozent.

Gleichzeitig wage ich auch Aussagen darüber, woran es nicht liegt: Corona hat überall stattgefunden, taugt nicht als Erklärung von länderspezifischen Ergebnissen. Es liegt auch nicht an der Zahl der Schüler*innen mit Migrationshintergrund (s.o.). Es liegt nicht an der Inklusion. Und die Summe der vorgesehenen Unterrichtsstunden in Deutsch und Englisch in den Jahrgangsstufen 5 bis 10 an allgemeinen Schulen ist in Schleswig-Holstein eher höher als niedriger als in den anderen Ländern. Wir werden also endlich mal über die unterrichteten Stunden sprechen müssen als nur über die zu unterrichtenden.

Übrigens:

Seit 2019 kündigt Karin Prien an, dass nach Hamburger Vorbild Sprachstandserhebungen für Viereinhalbjährige eingeführt werden sollen. Und seit 2019 geht Jahrgang um Jahrgang an diesen Maßnahmen vorbei, weil schlicht nichts passiert. Hinter den Kulissen scheinen sich die Ministerinnen Prien (Bildung, CDU) und Touré (Soziales, Grüne) nicht über ein Konzept einig zu werden.

Links:

 

Die Bildungsstandards

https://www.iqb.hu-berlin.de/bista/subject

DAZ in Schleswig-Holstein 2023

https://www.landtag.ltsh.de/infothek/wahl20/drucks/01400/drucksache-20-01444.pdf

Landtagsdebatte zu Sprachstandserhebungen

https://www.martinhabersaat.de/2023/07/16/wer-jetzt-nicht-handelt-betreibt-zeitspiel-auf-kosten-der-juengsten/