Studien und Politik: Noch 700.000 Ganztagsplätze müssen geschaffen werden

Bild: Ganztagslücke nach Bundesländern, Quelle: IW
Bild: Ganztagslücke nach Bundesländern, Quelle: IW

Orientiert man sich an den aktuellen Betreuungswünschen von Eltern mit Kindern im Grundschulalter, werden deutschlandweit 2,35 Millionen Ganztagsplätze benötigt, wenn der Rechtsanspruch im Schuljahr 2029/2030 vollständig in Kraft ist. Am meisten zu tun gibt es in Schleswig-Holstein.

 

Studien und Politik

Studie: Noch 700.000 Ganztagsplätze müssen geschaffen werden

https://www.iwkoeln.de/studien/wido-geis-thoene-noch-700000-ganztagsplaetze-muessen-geschaffen-werden.html

Von: Dr. Wido Geis-Thöne

Auftrag: Institut der Deutschen Wirtschaft (IW)

Veröffentlichung: 11. November 2023

In zwei Sätzen: Orientiert man sich an den aktuellen Betreuungswünschen von Eltern mit Kindern im Grundschulalter, werden deutschlandweit 2,35 Millionen Ganztagsplätze benötigt, wenn der Rechtsanspruch im Schuljahr 2029/2030 vollständig in Kraft ist. Am meisten zu tun gibt es in Schleswig-Holstein.

Meine Zusammenfassung: 

Um den bis zum Schuljahr 2029/2030 bestehenden Ausbaubedarf zu ermitteln, werden der Betreuungsbedarf der Eltern, der bereits erreichte Ausbaustand und die zu erwartende zukünftige Entwicklung der Zahl der Kinder im Grundschulalter in den Blick genommen.

Seit einigen Jahren werden im Auftrag des Bundesfamilienministeriums die Betreuungswünsche von Eltern mit Kindern im Grundschulalter erhoben. Der so ermittelte Bedarf an Plätzen in der Ganztagsbetreuung lag im Jahr 2022 bundesweit bei 73 Prozent. Bei knapp 3 Mio. Kindern in der Grundschule kommt man so auf einen Bedarf von 2,18 Mio. Ganztagsplätzen. Dabei ist die Lage in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich. So wünschten sich im Jahr 2022 in Hamburg mit 99 Prozent mehr oder minder alle Eltern einen Ganztagsplatz, wohingegen der entsprechende Anteil in Schleswig-Holstein nur bei 57 Prozent und in Bayern bei 59 Prozent lag. Ursächlich hierfür dürften vor allem die sehr unterschiedlichen Angebotsstrukturen in den Ländern sein. In Hamburg erhalten die Grundschulkinder eine Ganztagsbetreuung im Umfang von 40 Stunden in der Woche mit einer hohen pädagogischen Qualität kostenfrei, wohingegen in anderen Bundesländern für derartige Angebote teilweise substanzielle Elternbeiträge erhoben werden. Würde hier das Hamburger Modell übernommen, lägen die Betreuungsbedarfe sehr wahrscheinlich wesentlich höher.

Im Schuljahr 2021/22 befanden sich 1,66 Mio. Kinder in der Ganztagsbetreuung. Differenziert man nach Ländern, lag die Betreuungsquote im Schuljahr 2021/2022 in Hamburg mit 98 Prozent am höchsten und in Schleswig-Holstein mit 33 Prozent und Bayern mit 36 Prozent am niedrigsten. Zudem zeigt sich ein starkes Ost-West-Gefälle, das darauf zurückgeht, dass in der ehemaligen DDR starke Hortsysteme etabliert wurden. Auch gilt in Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Thüringen sowie Hamburg bereits heute ein landesrechtlich geregelter Anspruch auf einen Ganztagsbetreuungsplatz für Kinder im Grundschulalter. Dabei erfüllen die Betreuungsangebote in Ostdeutschland und Hamburg die Anforderungen des zukünftigen Rechtsanspruchs in aller Regel bereits heute vollständig, in den übrigen Teilen Westdeutschlands eher nicht. So müssen Schulen nur an drei Tagen in der Woche ein Betreuungsangebot im Umfang von sieben Zeitstunden machen, um nach der Definition der Kultusministerkonferenz als Ganztagsschulen zu gelten, was den zeitlichen Umfang des zukünftigen Rechtsanspruchs von 40 Stunden in der Woche weit unterschreitet.

Vergleicht man die Betreuungsbedarfe mit den Zahlen der ganztags betreuten Kinder im Grundschulalter, kommt man für das Schuljahr 2021/2022 auf eine Lücke von 529.000 Plätzen oder 18 Prozentpunkten. Das bedeutet, dass fast für jedes fünfte Kind im Grundschulalter ein Bereuungsbedarf besteht, der aktuell nicht erfüllt werden kann. Am größten sind die Lücken dabei mit 152.000 Plätzen in Nordrhein-Westfalen und mit 104.000 Plätzen in Bayern, was jeweils 23 Prozent der Kinder entspricht. Damit weisen diese beiden nach Schleswig-Holstein mit 24 Prozent auch die größten relativen Lücken auf. Vor dem Hintergrund stark gestiegener Geburtenzahlen in den 2010er-Jahren werden auf absehbare Zeit auch deutlich mehr Kinder in Deutschland eine Grundschule besuchen. Berechnungen der Kultusministerkonferenz zufolge dürfte der Höchststand im Schuljahr 2025/2026 mit 3,32 Millionen erreicht werden. Im Schuljahr 2029/2030, wenn der Rechtsanspruch erstmals für alle Jahrgänge gilt, dürfte die Zahl mit 3,24 Millionen noch immer um 8 Prozent höher liegen als im Schuljahr 2021/2022. Bundesweit wird wegen steigender Kinderzahlen und steigender Nachfrage ein Ausbaubedarf von insgesamt 700.000 Plätzen bis zum Schuljahr 2029/2030 errechnet. Absolut gesehen ist der Ausbaubedarf bei Zugrundelegung der aktuellen Bedarfsquote mit 191.000 Plätzen in Nordrhein-Westfalen am größten, gefolgt von Bayern mit 140.000 Plätzen. Relativ gesehen ist mit 87 Prozent in Schleswig-Holstein die größte Steigerung notwendig, was, 30.800 Plätzen entspräche.

 

Mein Fazit:

Im Hamburger Umland dürften eher die Hamburger Zahlen die Messlatte sein. Es gibt in Schleswig-Holstein wahnsinnig viel zu tun, vor allem im gebundenen und teilgebundenen Ganztag. Um den Rechtsanspruch so zu erfüllen, dass das Recht auf Ganztag auch ein Recht auf Bildung für die Kinder wird, müssen jetzt große Schritte folgen.

Übrigens:

Bei der Einführung des Rechts auf einen Kita-Platz lagen die Schätzungen zur Nachfrage der Eltern (80 Prozent) deutlich zu niedrig. Bis heute fehlen in Schleswig-Holstein deshalb tausende Plätze. Auch ein Blick auf die Rechtslage ist spannend: Das Achte Sozialgesetzbuch, in dem der Rechtsanspruch verankert wurde, regelt grundsätzlich nur die Angebote der Kinder- und Jugendhilfe, zu denen zwar die Horte und Tageseltern, nicht jedoch die Ganztagsschulen zählen. Die Kreise fordern deshalb noch eine rechtliche Klarstellung des Landes.

 

Links:

Ganztag – Verschaukelt die Landesregierung Kommunen und Schulen?

https://www.martinhabersaat.de/2023/11/12/ganztag-verschaukelt-die-landesregierung-kommunen-und-schulen/

IQB-Studie

https://www.martinhabersaat.de/2023/10/30/studien-und-politik-iqb-bildungstrend-2022-in-der-sekundarstufe-i/

(Bild: Ganztagslücke nach Bundesländern, Quelle: IW)